Piaget: Kognitive Entwicklung
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Unserer Gesellschaft gerecht werdend muss Pädagogik
> die Bedingungen der Möglichkeit von Mündigkeit und Demokratie ergründen und erkunden, sie überzeugend inszenieren und gelingend erlebbar machen.
Wenn es also - anders ausgedrückt - Aufgabe der Pädagogik ist,
> all die Zusammenhänge zu erforschen, die den Weg hilfreich begleiten können, wie aus noch kleinen unmündigen Menschen mündige Erwachsene werden, die unser demokratisches Gemeinwesen aktiv unterstützen und fortentwickeln,
dann stellt sich im Blick auf das Thema der kognitiven Entwicklung die Frage, was Piaget hierzu Zielführendes beitragen kann.


Pädagog*innen benötigen, um o.g. Ziel gerecht werden zu können, grundlegende Informationen über eigenständiges Lernen: Ab wann ist es möglich? Ist es überhaupt möglich? Wie kann es gelehrt werden? Wie kann es gefördert werden? Welche Gedankenoperationen oder Denkleistungen bauen wie aufeinander auf. Wann sind welche Leistungen möglich und wann ist die Entwicklung durchlaufen?

Zu all diesen Fragen kann Jean Piaget wesentliche Antworten geben: Denn er hat die kognitive Entwicklung von Kindern von Geburt an erforscht. Piaget hat seine Forschungen streng auf die kognitive Entwicklung konzentriert, in der es seiner Ansicht nach um die denkerische Auseinandersetzung der menschlichen Wesen mit der (Natur-)Wirklichkeit geht. Piagets Vorerfahrungen führten bei ihm zu der ihn leitenden Hypothese, alsbald im kindlichen Weltentdeckungsverhalten die Methode eines kleinen (Natur-)Forschers angelegt zu sehen. Der erste Titel, den ich von Piaget las, hieß "Genetische Erkenntnistheorie". Erkenntnistheoretisch interessiert, fand ich die Verbindung mit "genetisch" spannend und traf so auf Piagets anthropologische Grundannahme, dass im Menschen von Anfang an im Kern die Forschungsmethode angelegt sei, die u.a. später auch den Nobelpreisträger zu einem solchen mache.

Adaptation

Natürlich müsse diese angenommene Anlage zu forschen schrittweise entwickelt werden. Zum kleinen Forscher gehöre außerdem nicht nur die in ihm angelegte Forschungsmethode, sondern auch so etwas wie ein Forschungsdrang, der immer dann neue Motivation erhalte, wenn bisheriges Weltwissen und entsprechendes Können zumeist in komplexeren Situationen so nicht mehr anwendbar sei. Diesen fortlaufenden Prozess sich verfeinernder Weltkenntnis nennt Piaget Adaptation. Letztere sei geprägt von Assimilation und Akkomodation. In der Akkomodation korrigiere sich das bisherige Weltwissen, wenn bisheriges Wissen und Erfahrung kollidiere. In der Assimilation werde dann nach der letzten Akkomodation erworbenes Wissen solange assimilierend angewandt, bis eine nächste Akkomodation notwendig werde. Und so fort. In der Wissenschaftstheorie allgemein würde man das Wechselspiel von Assimilation & Akkomodation mit den Begriffen von trial & error bzw. von Versuch & Irrtum in Worte fassen.

Kognitive Struktur

Der Adaptationsprozess fortschreitender Erkentnis spiegelt sich nach Piaget in einer kognitiven Struktur, der drei grundlegende Schemata zu eigen seien: Sensorische Schemata, z.B. greifen, sehen u.ä., begriffliche Schemata, z.B. Blume, Haus, Wasser u.ä., und operatorische Schemata, z.B. klassifizieren, zuordnen u.ä..

Äquilibration

Den gesamten Prozess nennt Piaget Äquilibration. In ihr gehe es um zunehmende Komplexität des Weltverständnisses, die sich aus der der Lösung kognitiver Konflikte speise, die in der kognitiven Struktur zur Adaptation führten. (s. Schaubild)

Entwicklungsphasen

Diese können im Einzelnen hier betrachtet werden. Sie zeigen, wie schrittweise aus eingangs nur reflexbedingtem instinktivem Verhalten phasenweise schließlich im Denken formale Operationen möglich werden, die reale und nur denkbare Welten inhaltlich und formal erfassen können.

Pädagogische Folgerungen

Pädagog*innen, die zum Erreichen ihres Zieles eigenständige Lerner benötigen, können nach Piaget froh sein, denn sie müssen diese Eigenständigkeit nicht lehren, sondern können von einem genetisch angelegten Erkenntnisinteresse und -drang ausgehen, den Piaget im Adaptations- und Äquilibrationsprozess angelegt sieht. Sind sie, die Pädagog*innen, jedoch nicht erfolgreich, kann ihr Scham- und Schuldempfinden jedoch nicht groß genug sein, denn nach Piaget haben sie Vorhandenes nicht richtig gefördert und ggfs. sogar zerstört.

Damit der kognitive Entwcilungsprozess erfolgreich ist, muss es gelingen, passend zu den kognitiven Entwicklungsstufen immer entsprechend bewältigbare Aufgaben zu stellen, damit die individuelle Lerngeschichte so zu einer Lernerfolgsgeschichte wird, die von Akkomodationslust getrieben ist.

Kritik und Würdigung

Wenn es Piaget auch noch gelungen wäre zu sagen, wie man die geforderte Lernerfolgsgeschichte konkret inszeniert, müssten wir z.B. nicht zur Montessori-Pädagogik gucken und uns dort praktische Anregungen holen. Dort hätte Piaget auch erfahren können, wie wichtig das soziale Umfeld für selbstständiges Lernen ist. Diesen Aspekt blendet er z.B. bei allen Versuchsituationen völlig aus, wenn er experimentell nur Kind und Aufgabe zusammenbringt. So können bei seinem Phasenkonzept viele im Blick auf Anfang und Ende zustimmen, sehen aber den Weg dazwischen viel vielfältiger und weniger linear gestuft, denn die Motivation, die nächste Lernhürde zu nehmen, ist zwar auch von der intellektuellen Schaffbarkeit abhängig, aber eben auch von vielfältigen Faktoren des jeweiligen sozialen Lernklimas. Und diese hat Piaget deutlich nicht hinreichend im Blick.

Auf einer Tafel


Adaptation

+
Äquilibration


Entwicklungsphasen





Grundlagentexte:
(1) (2) (3) (4)



Appendix:
Forschungsmethodik



 Klausurbeispiel
Wesentliche Vernetzungen mit anderen Themen:

Montessori:
Von Montessori her gedacht, kommt es zu den o.g. Punkten von Kritik und Würdigung. Im Blick auf den dem Kind zugeschriebenen und zugetrauten eigenständigen Lernwillen passen jedoch Piaget und Montessori gut zusammen.

Kohlberg:
Von Kohlberg her gedacht, fällt bei Piaget auf, dass für Piaget Denken in moralischen Regeln höchste formallogische Anforderungen stellt. Zu den dazu genannten Gründen gehört zentral der, dass moralische Regeln den selbst involvieren, den diese Regeln bedenkt. Der Moralforscher ist selbst mit Gegenstand der Forschung, während Piagets Naturforscher von außen auf die zu erforschenden Gesetze sieht. Diese Sicht ist auch für den Naturforscher problematisch, wenn man z.B. an den Klimaforscher denkt, und für den Moralforscher aber bestimmt falsch. Denn Kohlberg zeigt eindrücklich mit seiner Phasentheorie der Moralentwicklung, dass im sozialen Umfeld schon deutlich vor Piagets letztem Stadium der formallogischen Operationen daran gearbeitet werden kann und zwar in einer einbeziehenden demokratischen Schulpraxis. So kann man die These wagen, dass der von Piaget angenomme hohe formallogische Schwierigkeitsgrad für moralisches Regeldenken daher rührt, dass Piaget das, was ihm so schwierig erscheint, nie genau genug an seinen kleinen Forschern, die ins Erforschte involviert sind, erforscht hat. Subjekte, die sich als Objekte mitdenken können, - das ist eine wichtige Thematik, die zum nächsten Vernetzungsaspekt führt

Freud/Erikson/Mead/Hurrelmann:
Von diesen her gedacht kann Piaget druchaus mit in der Tabelle stehen:
Hurrelmann Prod. Realitätsverarbeiter Individuation Integration Ich-Identität
Freud Triebwesen ES ÜBER-ICH Ich
Erikson Psychosoziales Wesen Maladaption/Fehlentwicklung Malignität Ausbalancierte Ich-Identität
Mead Kommunikationswesen I ME SELF
Piaget Lernwesen Assimilation Akkomodation Adaptation

Es wird aber auch deutlich,

- dass Hurrelmanns produktive Realitätsverarbeitung schon alleine mit dem Faktor Integrationsverlangen und insgesamt eine soziale Dimension hat, die Piaget eben nicht hat. Das wollte Piaget auch nie, sondern ihm ging es um seinen Fokus.

- dass Mead Bedeutungen in sozialer Interaktion im GAME bildet, während bei Piaget das eher zwischen Forscher und Forschungsgegenstand geschieht. Hier könnte auch ein Grund für Piagets eigentümliche Fachbegrifflichkeit liegen, die sonst niemand so nutzt. Dazu muss man allerdings einräumen, dass Forscher allenthalben gern eigene Begriffe prägen, damit die Chance besteht, dass ihre Bekanntheit steigt, wenn sie viel zitiert werden.

- das  Eriksons psychosozialer Fokus eben genau das ist, was Piaget nicht im Blick hat.

- dass Freuds ES und dessen Drang nach Befriedigung auch mit den Antriebskräften in Verbindung gebracht werden kann, die den Adaptations- bzw. Äquilibrationsprozess treiben, so wie sie auch bei Mead das I zum Widerspruch zum ME herausfordern.

Vorschulchancen: Von den "Chancen und Grenzen pädagogischer Einwirkungen in Vorschuleinrichtungen" her gedacht wird unter dem zusätzlichen Aspekt "Pädagogischer Professionalisierung" klar, wie wichtig die Erkenntnisse Piagets und die der anderen hier Genannten sind. Denn schließlich geht es ja insgesamt darum, möglichst früh und umfassend dem noch Unmündigen angemessen zur Seite stehen zu können, damit er Mündigkeit erreicht. Das wissenschaflich kenntnisreich zu tun, macht pädagogische Professionalität aus.

Interkulturelle Bildung: Von hier her gedacht ist der Weg zu Piaget einerseits weit. Anderseits könnte man sagen: Wenn wir schon einmal den Menschen als kleinen Forscher betrachten und gar von genetischer Erkenntnistheorie sprechen, dann sollte man von hier aus auch einen Blick auf elementare Erkenntnis- bzw. Wissenschaftstheorie werfen und mit dem oben angeführten "Appendix Forschungsmethodik" zur Erkenntnis von der Nichterkennbarkeit einer allgemeinen, für alle gültigen Wahrheit vorstoßen, die wiederum zentraler Ausgangspunkt Interkultureller Pädagogik in einer demokratischen Gesellschaft ist, in der sie sich im sozialen Umfeld praktisch gelingend erweisen muss.
Montessori


 


Kohlberg




Hurrelmann

Freud

Erikson

Mead





Vorschulchancen





Interkulturelle Bildung